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„Eignungsbeurteilung sollte Menschen überlassen bleiben“

Prof. Dr. Martin Kersting im Gespräch mit SUITS. Consultant Alexander Ebert über die Digitalisierung der Personalberatung, Trends in der Eignungsdiagnostik und die dunkle Seite der Führung.

Wird Executive Search irgendwann von künstlicher Intelligenz abgelöst?

Kersting: Die Digitalisierung verändert die Arbeit des Executive Search, nimmt sie uns aber nicht ab. Einige Prozessschritte, wie bestimmte Aspekte der Suche und Ansprache sowie vor allem das Kandidatenmanagement können (teil-)automatisiert werden. Die eigentliche Eignungsbeurteilung sollte aber den Menschen überlassen bleiben. Wobei die Möglichkeiten von Big Data und künstlicher Intelligenz – sofern es rechtlich und ethisch einwandfrei zugeht – durchaus genutzt werden sollten. Und sei es nur, um sich im positiven Sinne in seinem eigenen Urteil irritieren zu lassen.

Welche Kompetenzen sind für das Top-Management Ihrer Meinung nach unverzichtbar? Was braucht ein CEO in der heutigen „VUCA“-Welt, in der sich Anforderungen schnell verändern und die Komplexität zunimmt?

Offenkundig verändert sich die Arbeitswelt in einigen Bereichen in einem rasanten Tempo. Dies hat u.a. zur Folge, dass man sich nicht mehr auf Qualifikationen und Kompetenzen ausruhen kann und der bisherige Erfolg kein alleiniger Garant mehr für zukünftige Erfolge ist. Damit rücken generalisierte Fähigkeiten und Eigenschaften in den Fokus. Gefragt ist ein Denk- und Verhaltensmuster, das es ermöglicht, sich selbst zu organisieren und Situationen, die durch Unbeständigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit geprägt sind, erfolgreich zu bewältigen. Hierzu gehören Lernfähigkeit, Intelligenz sowie die Motivation. Je nach Bereich sind außerdem Kommunikationsfähigkeit und Kontaktfreude sowie Offenheit bedeutsam. Zur Erfassung dieser generalisierten Merkmale gibt es in der Tat sehr gute Fragebogen und Tests, die in einen Gesamtprozess der Managementdiagnostik integriert werden können.

Zuletzt hat das Angebot eignungsdiagnostischer Verfahren auf dem Markt stark zugenommen. Woran erkenne ich als Kunde, ob das vom Berater eingesetzte Verfahren wissenschaftlichen Gütekriterien genügt?

Das zu erkennen ist nicht einfach. Aus diesem Grund sind auch Verfahren von zweifelhafter Qualität häufig wirtschaftlich erfolgreich. Für die Verfahrensbeurteilung ist es wichtig zu realisieren, dass sich die Qualität der Verfahren letztendlich nur anhand von Kennwerten beurteilen lässt, die in empirischen Untersuchungen berechnet wurden. Ein erster Indikator für die Qualität besteht daher in der Dokumentation dieser empirischen Studien. Wenn es zu einem Verfahren gar keine Studien gibt oder diese mit fadenscheinigen Argumenten wie dem „Betriebsgeheimnis“ als „geheim“ eingestuft werden, sollte man die Finger von dem Verfahren lassen. Wenn es Studien gibt, ist die Genauigkeit des Berichts ein wichtiger Indikator. Wird lediglich behauptet, es seien „viele Führungskräfte“ untersucht worden oder wird genau dargestellt, wie viele und welche Personen wann wie untersucht wurden? Das Diagnostik- und Testkuratorium der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen hat in Übereinstimmung mit der DIN 33430 – einer DIN-Norm für die Personalauswahl – genau definiert, welche Informationen zu einem Test oder Fragebogen vorliegen müssen. Es ist überaus bedenklich, wenn ein Verfahrensanbieter diese Informationen nicht liefert oder gar deren Bedeutung in Abrede stellt.

Und als Kandidat, worauf sollte man hier achten?

Als Kandidat sollte man darauf bestehen, umfassend und verständlich über alle Verfahren informiert zu werden, die zur Personaldiagnostik eingesetzt werden. Transparenz ist ein Zeichen von Qualität. Außerdem dürfen in einem Verfahren, sei es ein Interview oder ein Fragebogen, nur Dinge thematisiert werden, die einen eindeutigen Bezug zur in Frage stehenden Besetzung stehen. Wenn man diesen Bezug vermisst, sollte man nachfragen und auf eine nachvollziehbare Antwort bestehen.

Wie schätzen Sie grundsätzlich die Akzeptanz von psychometrischen Verfahren im Bereich der Management Diagnostik ein? Hat diese bei Kandidaten und Auftraggebern eher zugenommen, etwa durch die leichtere Durchführung – Stichwort Mobile-Assessments – oder ist immer weniger Zeit für umfassende Beurteilung im Auswahlprozess?

Die Akzeptanz psychometrischer Verfahren hängt von vielen Faktoren ab, etwa dem eigenen Interesse an der Position oder auch den persönlichen Vorlieben für bestimmte Methoden wie Interviews oder Tests. Psychometrische Verfahren wie Tests zur kognitiven Kompetenz punkten vor allem damit, dass sie als wissenschaftlich fundiert angesehen werden und die Privatsphäre wahren. Entscheidend für die Akzeptanz ist, was ich gerade in Bezug auf die Kandidaten bereits angesprochen habe: Für die Kandidaten muss offensichtlich sein, welcher Bezug zwischen dem Verfahren und der zur Diskussion stehenden Stellenbesetzung besteht.

Sie haben theoretischen und praktischen Einblick in die aktuelle Forschung. Wo sehen Sie die Trends in der Managementdiagnostik bzw. berufsbezogenen Eignungsdiagnostik?

Es gibt zahlreiche Trends, die spannend sind, besonders einschneidend ist sicher die zunehmende Digitalisierung der Eignungsdiagnostik. Neuartige Daten über Kandidaten und Mitarbeiter wie das Kommunikationsverhalten im Internet werden mittels komplexer und ggf. selbstlernender Algorithmen analysiert. Das eröffnet ungeheure Möglichkeiten und wirft zugleich schwierige rechtliche und ethische Fragen auf. Wir stehen ganz am Anfang der Entwicklung und müssen die Weichen so stellen, dass der Erkenntnisfortschritt keinen ethisch-rechtlichen Rückschritt bedeutet.

Und was halten Sie von neueren praxisorientierten und durchaus medienwirksamen Ansätzen wie bspw. dem Sprachanalyse-Ansatz von „Precire“ und anderen AI-gestützten Auswahlverfahren?

Im Moment herrscht ein wenig Wild-West-Stimmung, es wird gemacht, was die Maschine kann. Notwendig ist aber, dass wir unsere Prinzipien nicht über Bord werfen und rechtliche Vorschriften und ethische Regeln einhalten. Daten müssen zweckgebunden und anforderungsspezifisch auf das notwendige Maß beschränkt sein. Für Informationen, die ich mit einem herkömmlichen Fragebogen erhalten kann, muss und darf ich keine Maschine einsetzen, die weit mehr Daten erhebt und verarbeitet. Kandidaten müssen außerdem jederzeit willentlich kontrollieren können, welche Informationen sie von sich preisgeben. Zu beachten ist schließlich, dass relevante Personalentscheidungen nicht ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung von Daten beruhen dürfen.

Die Medien sind voll mit Berichten über Top-Manager, die amoralische und antisoziale Entscheidungen treffen mit teils verheerenden Folgen. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen? Und welche Möglichkeit hat man als Diagnostiker, Tendenzen in der Persönlichkeit aufzudecken, die derartiges Fehlverhalten anzeigen?

Die Forschung beschäftigt sich aktuell sehr intensiv mit der „dunklen Seite der Führung“. Man geht davon aus, dass eine Kombination aus den Persönlichkeitsmerkmalen Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie (die so genannte „dunkle Triade“) für das Fehlverhalten von Führungskräften mitverantwortlich ist. Mich fasziniert diese Forschung sehr, für die Praxis muss ich aber darauf hinweisen, dass trotz der medialen Präsenz von Einzelfällen erfreulicherweise nur wenige Führungskräfte über diese unheilige Dreifaltigkeit verfügen. Es schadet sicher nicht, bei der Eignungsbeurteilung auf diese Aspekte sowie auf Autoritarismus und einen feindseligen Attributionsstil zu achten. Ebenso wichtig ist es aber, in Organisationen eine Kultur zu leben, die es unwahrscheinlich macht, dass ein Einzelner derart über die Stränge schlägt. Hierzu gehört die Begleitung von Führungskräften, das Einholen von regelmäßigem Feedback und die Etablierung von ethischen Grundsätzen. Ich bin ein großer Fan der Eignungsdiagnostik, das Beispiel der „entgleisten“ Führungskräfte zeigt aber auch, dass die Persönlichkeit allein nicht entscheidend ist. Es bedarf immer auch eines Umfelds, dass das Entgleisen zulässt.

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Prof. Dr. Martin Kersting begleitet die Personalberatungs-Branche als Diagnostiker schon viele Jahre. Als Professor für psychologische Diagnostik an der Uni Gießen, Testautor (z.B. SMART, Wilde-Intelligenz-Test 2) und davor als wissenschaftlicher Leiter des Kienbaum Instituts für Management Diagnostik kennt er Forschung und Praxis. www.kersting-internet.de (Foto: Hardy Welsch)