Gute Nachrichten aus Halle/Westfalen waren in den letzten Jahren nicht selbstverständlich. Doch für die Ankündigung der optionalen 4‑Tage-Woche gab es einhelligen Applaus.
Schon seit über zehn Jahren gelte bei Gerry Weber ‚Arbeite, wann Du willst‘, seit Corona zudem ‚Arbeite, wo Du willst‘. Ab 2023 sei die Devise nun ‚Arbeite wieviel du willst‘, so die CEO Angelika Schindler-Obenhaus in einem vielfach kommentierten und geteilten LinkedIn-Post. Künftig könne in Halle/Westfalen jeder selbst entscheiden, ob er oder sie fünf oder vier Tage arbeiten möchte. Lediglich eine Abstimmung mit den Vorgesetzten müsse stattfinden, denn die Abteilungen sollten wie bisher von Montag bis Freitag besetzt sein. Mitarbeitende können überdies wählen, ihre Wochenarbeitszeit um 10 bis 25% zu reduzieren, freilich mit entsprechendem Lohnabzug. Und auch ein vierwöchentliches (unbezahltes) Sabbatical soll alle zwei Jahre möglich sein.
Die Medienresonanz auf das ‚Zweihochdrei‘-Konzept war enorm. Und das nicht nur in LinkedIn, wo ohnehin niemand als Old Work-Protagonist dastehen möchte. „Bei IHR geht jetzt 4‑Tage-Woche“, jubelte das Malocher-Blatt BILD. In einer Live-Abstimmung auf rtl.de votierten 84% für „Eine gute Idee“. Die 10 Prozent, die auf „Davon halte ich nichts“ klickten, waren vermutlich Arbeitgeber, die sich ärgerten, sich diesen Schritt selbst nicht getraut zu haben.
Flexibilität, was Arbeitszeit und ‑ort angeht, sind entscheidende Argumente im Wettbewerb um Talente geworden.
Tatsächlich gibt es sachliche Argumente für eine 4‑Tage-Woche, genauso wie es Gründe gibt, die dagegen sprechen. Diverse Pilotprojekte im In- und Ausland zeigten, dass die Motivation und die Produktivität der Beschäftigten nach Einführung der 4‑Tage-Woche stiegen und der Krankenstand im Schnitt sank. Die Mitarbeitenden gewinnen einen Tag für private Erledigungen, was das Leben entspannen kann. Andererseits muss die Arbeit in vier Tagen erledigt werden, was den Stresslevel unter Umständen wieder erhöht.
Die Taktung ist jedenfalls eine andere, es bleibt potenziell weniger Zeit für Plaudereien, wenn sich die Termine im Kalender enger drängeln. Das mag die Produktivität erhöhen, andererseits kann die Zeit in der Kaffeeküche im Hinblick auf das Miteinander im Team durchaus einen Sinn haben. Small Talk ist ohnehin bereits in vielen Fällen Corona zum Opfer gefallen – in manchen Videocalls sagt man sich kaum mehr Guten Tag.
Unbestreitbar gibt es Kosteneffekte, noch dazu schwer kalkulierbare. Je nach Branche und Tätigkeit können Unternehmen gezwungen sein, zusätzliche Kräfte einzustellen, um den Betrieb in Gang zu halten. Auf der anderen Seite stehen potenzielle Einspareffekte, wenn Beschäftigte ihre Arbeitszeit zusätzlich reduzieren.
Mal ganz abgesehen von solchen Kostenerwägungen legalisiert eine offizielle Vier-Tage-Woche in manchen Fällen indes nur, was im Zuge von remote work gelebte Praxis war. Let’s face it. Immerhin müssen Mitarbeitende dann kein schlechtes Gewissen mehr haben, wenn sie während der Arbeitszeit an den Baggersee fahren. Und als Kunde erreicht man in der Industrie am Freitagnachmittag heute schon häufig nur die Notbesetzung, wenn überhaupt. Da ist der Schritt von der 4,5 zur 4‑Tage-Woche mehr ein mentale Umgewöhnung.
Entscheidend ist das Signal in den Arbeitsmarkt. Angesichts des Fachkräftemangels müssen sich die Arbeitgeber auf veränderte Bedürfnisse der Arbeitnehmer einstellen. Das wird sich auch nicht wesentlich ändern, wenn jetzt rezessionsbedingt die Arbeitslosenzahlen steigen sollten. Flexibilität, was Arbeitszeit und ‑ort angeht, sind entscheidende Argumente im Wettbewerb um Talente geworden. Da ist es nur clever, als New Work-Vorreiter den Applaus einzuheimsen.
Gerry Weber ist mit seiner 4‑Tage-Woche nicht allein. Desigual ist in Spanien bereits vor einem Jahr damit gestartet. Im Sommer sorgte die Initiative des Modehauses Rudnick in Aurich für Schlagzeilen. Diese Woche hat auch Marks & Spencer in Großbritannien angekündigt, 2023 die 4‑Tage-Woche einzuführen. Weitere werden folgen.