Auf breiter Front suchen die Unternehmen zurzeit Fachkräfte. Indeed meldet fürs laufende Jahr ein Stellenanzeigen-Plus von 22 Prozent. Auch in Modehandel und ‑industrie werden händeringend Leute gesucht. Vergangene Woche bei der Katag-Cheftagung war das in vielen Gesprächen Thema.
Die vergangenen 15 Monate waren heftig, für die Unternehmen und die Mitarbeitenden. Quer durch die Branche wurden Organisationen umgebaut und verschlankt, Stellen abgebaut oder erstmal nicht besetzt. Für die Betroffenen war das hart. Die Online Retailer haben im Zuge des Corona-Booms zwar Tausende Mitarbeitende eingestellt. Allein in diesem Jahr werden in Deutschland 5000 Amazonians dazu kommen. Aber mit einer Verkaufsaushilfe von P&C oder einem Vertriebler von Esprit können sie dort eher nichts anfangen. Und wer bei H&M Schaufenster gestaltet hat, wird ungern im Logistikcenter Pakete kommissionieren wollen.
Jetzt stellt man in Modehandel und –industrie fest, dass man es an der einen oder anderen Stelle mit dem Kostenabbau übertrieben hat und der Marketingleiter doch für was gut ist. Hinzu kommt, dass sich vielfach Mitarbeitende in andere Branchen verabschiedet haben, die von der Pandemie nicht betroffen oder gar Krisengewinner waren. Dass manche den Glauben an die Zukunft ihrer Firma verloren haben und das Modebusiness insgesamt plötzlich nicht nur als dreckige, sondern auch als unsichere Branche gilt, sind Signale, die auch jene Player interessieren müssen, die bislang keine Probleme am Arbeitsmarkt hatten.
Dass die Corona-Krise Entwicklungen beschleunigt hat, die davor bereits liefen, ist eine Binse, die auch für den HR-Bereich gilt. Viele Personaler erlebten im Lockdown so etwas wie die ultimative Feuertaufe. Sie waren gefordert wie nie und haben maßgeblich dafür gesorgt, dass der Laden trotzdem weiterlief – Kurzarbeit organisiert, mobiles Arbeiten ermöglicht, über Nacht flexible Arbeitszeitmodelle ausgetüftelt und eingeführt, Recruiting und Weiterbildung binnen Wochen digitalisiert etc. Alles Dinge, die unter normalen Umständen für mehrere Jahre Projektarbeit gelangt hätten, so es denn überhaupt Budgets dafür gegeben hätte.
Personalarbeit ist in vielen Unternehmen ja immer noch etwas, was irgendwie im Hintergrund läuft und vor allem funktionieren soll. Eine administrative, keine gestaltende Aufgabe. Ausnahmen bestätigen die Regel. Dahinter steht häufig eine überkommene Haltung, die Beschäftigte in erster Linie als Kostenfaktoren und nicht als Leistungsfaktoren ansieht. In Manager-Sonntagsreden wird zwar das hohe Lied aufs Team und die Mitarbeiter gesungen, „ohne die das alles nicht möglich wäre“. Von Montag bis Freitag sind die Prioritäten dann aber häufig andere. Fragt man Top-Manager prospektiv nach den größten Herausforderungen, geht es in aller Regel um Profit und Umsatzwachstum, retrospektiv waren die größten Probleme stets Mitarbeiter- und Führungsthemen. Und während die CEOs selbstverständlich keine Modemesse auslassen, trifft man sie auf Karrieremessen eher selten.
Wenn es denn stimmt, dass der Wettbewerb auch über die Qualität der Mitarbeitenden entschieden wird, dann wird dies anders werden müssen. Nach der Krise wird der Arbeitsmarkt mehr denn je zum Arbeitnehmermarkt. Und die Arbeitnehmer sind in den vergangenen Monaten vielfach auf den Geschmack gekommen, was remote work, weniger reisen und entspannter arbeiten angeht. Flexible Arbeitszeiten und Homeoffice werden immer selbstverständlicher, auch wenn dezentrales Arbeiten etwa in Kreativabteilungen nicht unbedingt die optimalen Ergebnisse zeitigt und Homeoffice bei Verkaufsmitarbeitern halt nicht geht. Auch wie Unternehmen es mit Diversity und Sustainability halten, wird zunehmend zum Kriterium bei der Arbeitgeberwahl. Und wer jetzt auch noch einen Purpose bieten kann – umso besser. Der besteht freilich bei den meisten Unternehmen, wenn sie ehrlich sind, im Geld verdienen. Am Ende gilt dies auch für die Angestellten. Tischkicker und Teamevents verlieren an Zugkraft, wenn im Freundeskreis alle mehr verdienen.
Es reicht nicht, all diese Themen anzugehen. Man muss auch darüber sprechen. Umgekehrt sollte man nicht kommunizieren, was nicht ist. Da unterscheidet Employer Branding sich nicht von der sonstigen Marketingkommunikation.
Der „War for Talents“ spielt sich im Übrigen längst nicht mehr nur innerhalb der Branche, sondern branchenübergreifend ab. Die zunehmende Größe und Komplexität der Organisationen haben zu einer massiven Spezialisierung der Funktionen geführt. Die zunehmende Vertikalisierung in den Unternehmen erfordert ein intelligentes Zusammenspiel unterschiedlichster und hochprofessionell arbeitender Fachleute. Die Digitalisierung erfordert völlig neue Kompetenzen, die die meisten traditionell arbeitenden Unternehmen intern gar nicht haben. Die Akademikerquote in Handel und Industrie ist heute eine ganz andere als noch vor zehn Jahren. Die Branche, die eigentlich die Liebe zum Produkt eint, muss sich für Techies schönmachen, denen Stöffchen reichlich schnuppe sind. Und die auch bei Porsche, Biontech oder Apple arbeiten können.