Benedikt, was flößt Dir mehr Furcht ein? Die Todeszone oder der Vorstandsposten?
Schon die Todeszone. Allerdings würde ich in einem Unternehmen, wo es nur ums Ego, Positionierung und Machtspiele ginge, kaputt gehen. So eine Atmosphäre wäre für mich auch eine Todeszone.
Beim Mittelständler Dynafit fühlst Du dich offensichtlich wohl. Du bist jetzt seit 17 Jahren dabei. Als Du anfingst war das Unternehmen insolvent, heute ist die Marke ein Weltmarktführer. Wie hast Du das geschafft?
Das war ja nicht ich alleine, sondern ein tolles Team. Aber ich war von Anfang an mit ganz viel Leidenschaft dabei. Damals war ich Mitglied der Nationalmannschaft Skibergsteigen und habe anfangs widerwillig die neue, andersartige Dynafit-Skibindung verwendet – dann war ich so fasziniert, dass ich unbedingt für diese Firma arbeiten wollte. So habe mich einfach initiativ beworben. Und kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Drei Monate vorher hatte die Oberalp-Gruppe die Marke übernommen. Damals hatte das Tourengehen ein super-verstaubtes Image. Tourengehen hatte null Style. Aber das war unsere Chance. 2005 haben wir die Marke gerelauncht. Erst einmal alles weggetan und uns auf ein einziges Produkt fokussiert: unsere Bindung. Haben die Brand mit Hardcore-Athleten aufgeladen und diesen Weg mit aller Härte und Konsequenz durchgezogen.
Zeitgleich hast Du Deine Karriere als Speed-Bergsteiger weiter vorangetrieben. 2006 hast Du mit deinem Team den ersten 8000er, den Gasherbrum II, bestiegen. Ihr habt 17 Stunden gebraucht – hin und zurück – denn ihr rast vom Gipfel dann auch noch schnellstmöglich auf Skiern bergab. Normale Expeditionen brauchen vier bis sieben Tage. Hättest Du Dir so einen Erfolg je vorstellen können?
Gerade habe eine nach langer Zeit eine Freundin wiedergetroffen, die mich als jungen Studenten mal gefragt hatte: Wo siehst du dich in zehn Jahren? Damals dachte ich, was ist denn mit der los…? Wenn ich mir gleich zu Beginn einen 8000er zum Ziel gesetzt hätte – ich wäre daran zerbrochen. Weil es einfach so unendlich weit weg war. Das Wichtigste war: den ersten Schritt zu machen. Du weißt, es folgen Tausende und nochmal Tausende weitere Schritte – aber du hast das Momentum. Viele reden ständig über ihre tollen Ideen, aber gehen eben nicht los.
Führen wir ein Speed-Interview. Was verbindet den Extrem-Bergsteiger mit dem CEO? Deine 5 wichtigsten Erfolgsprinzipien? Und bitte schnell…
Nummer 1: Ich schaffe die Rahmenbedingungen für den Erfolg. Als Bergsteiger beziehe ich mein ganzes Team in die Vorbereitung ein und bereite die Expedition akribisch vor. Wenn es sein muss jahrelang. Als Geschäftsführer ist das nicht anders. Auch hier schaffe ich die Bedingungen, damit meine Teams erfolgreich sein können. Erfolgsfaktor Nummer 2: Absolute Konsequenz. Wenn ich mir ein Ziel setze, dann will ich es auch durchziehen, aber trotzdem die Fähigkeit behalten rechtzeitig umzukehren, falls nötig. Drittens: Entscheidungen treffen und die Verantwortung dafür übernehmen, auch wenn es mal schlecht gelaufen ist. Da stelle ich mich hin und sage, ok, das war nicht gut und diese Offenheit erwarte ich auch von den Kollegen. Dann ist man auch als Chef berechenbar. Ich glaube, es gibt nichts Schlimmeres als unkalkulierbare Chefs. Viertens ist Schnelligkeit entscheidend. Das hat nichts mit Hektik zu tun. Es geht darum, dass ich so gut vorbereitet bin, dass der Prozess so gut durchgedacht und -geplant ist, dass ich dann mit Schnelligkeit und Leichtigkeit Entscheidungen treffen kann. Last but not least: Kommunikation. Diesen Faktor kann man nicht hoch genug einschätzen. Bei uns im Team habe ich als eine unserer wichtigsten Regeln eingeführt: Take the direct line! Ich wundere mich immer wieder, warum das so vielen so schwer fällt. Da werden lieber 20 Mails geschrieben als einmal kurz mit dem anderen zu sprechen. So viele Unstimmigkeiten könnten vermieden werden. Aber viele scheuen die direkte Konfrontation.
Du bist nicht in einer Bergsportlerfamilie aufgewachsen. Geld war ebenso rar. Du bist das zweitjüngste von sechs Kindern. Der Erfolg war Dir nicht in die Wiege gelegt.
Ja, zum Glück. Meine Eltern hatten nicht viel Geld, sie hatten andere Werte. Mit 15 mussten wir uns selbst finanzieren. Ich habe in England und den USA studiert, ich musste dafür jeden Cent selbst ranschaffen. So habe ich monatelang als Kellner im Hofbräuhaus und auf der Wiesn geackert. Meine Eltern haben uns Kindern also unfreiwillig einen großen Gefallen getan, früh selbstständig werden zu müssen. Wenn man von den Eltern her schon zu satt ist, dann beeinflusst dies gegebenenfalls die Bereitschaft sich anzustrengen. Warum auch? Wenn die Bananen tief hängen, dann muss ich sie einfach nur nehmen.
Wo kommt dein Hunger her?
Meine Energie war schon immer da. Das hätte allerdings auch schief gehen können. Ich war der schlechteste Schüler von uns sechs Geschwistern und habe viel Schmarrn gebaut. Aber ich habe gelernt, meine Energie zu kanalisieren und dass man viel schaffen kann, wenn man sich anstrengt. Dass der Wille wichtiger ist als Talent. Ohne Wille ist Talent gar nichts. Aber Talent und Willen können einen weit bringen. Mich hat immer interessiert, was noch möglich ist. Da mache mir heute öfter mal Sorgen. Sorgen darüber, wo in unserem Land der Hunger geblieben ist.
In deinem Buch lernen wir, wie wichtig Ziele für den Erfolg sind. Was heißt das für dich als CEO?
Da habe ich viele Fehler gemacht: Ich ging davon aus, wenn ich was toll finde, müssen die anderen das auch toll finden. Aber wenn die Leute keine Lust zu etwas haben, hast du keine Chance. Mein Learning: Es gibt keine Zielvorgabe, sondern nur eine Zielvereinbarung. Heute verbringe ich wesentlich mehr Zeit damit, diese Ziele vorzubereiten und die Leute mitzunehmen. Mein Ziel auch zum Ziel meines Teams zu machen, das ist eigentlich die große Kunst. Dass die Mitarbeiter eben nicht sagen: das will der Böhm, sondern dass sie ein Projekt als ihr Baby sehen.
Ein weiteres Kapitel Deines Buchs heißt: About Suffering – Eines Tages werden die Tage des Leidens als die schönsten erscheinen. Warum?
An welche Dinge erinnert man sich? An die, wo wirklich Schweiß und Tränen geflossen sind, wo man reingehauen hat und über sich hinausgewachsen ist. Was man sich vorher nicht zugetraut hat. Das ist auf einer Bergtour so oder bei einer großen Präsentation. Das bleibt hängen.
So wie letztes Jahr auf Deiner Speed-Transalp? Da hast du auf Tourenski in 28 Stunden nonstop die Alpen von Nord nach Süd überquert und Deine Ferse halb verloren…
Ich hatte offene Füße und bin in meinem Blut geschwommen. Das war eine Fleischwunde vom Allerfeinsten und bei jedem Schritt wurde wie Scheuerpapier darüber gerissen. Ich habe wirklich überlegt aufzuhören. Ich wusste ja, es wird nur noch schlimmer. Es war fast eine buddhistische Erfahrung. Anfangs habe ich nur gedacht, dieser Scheiß-Schmerz, aber dann habe ich es drehen können, mir gesagt, dieser Schmerz ist jetzt mein Wegbegleiter, ich nehme ihn jetzt an. Du musst ihn als Freund annehmen, sonst macht er dich kaputt… Ich bin immer noch fasziniert, dass es funktioniert hat.
Reden wir weiter über Krisen. Corona: Wie sehr hat es Dein Unternehmen getroffen?
Es hat mich persönlich hart getroffen. Wir hatten letztes Jahr ein Rekordjahr und waren heuer wieder auf Rekordkurs. Wir hatten gerade ein Riesen-Investitionspaket auf den Weg gebracht – und mussten dann von 180 Grad U-Turn in die Rückwärtsbewegung. Damit habe ich mich mental schon schwer getan. Wir haben dann schnell reagiert. Alle auf Kurzarbeit. Wir haben dann auch sofort jeden einzelnen Händler angerufen und gesagt, du musst die Ware nicht zurückschicken, wir heben dir jetzt erst mal 8 Wochen die Zahlungsziele auf. März, April war Stillstand, aber im Mai ist es dann wieder explodiert. Wir sind sensationell in den Sommer gekommen, haben unglaublich aufgeholt. Das hätte ich im April niemals für möglich gehalten. Wir haben das Glück, dass unsere Marke klar und absolut authentisch für Performance steht. Da tun sich die Generalisten schwerer.
Kommt das Corona-Virus jemandem wie Dir, der auf seinen Expeditionen nicht selten mit dem Tod konfrontiert ist, nicht irgendwie vernachlässigbar vor?
Absolut. Ja. Ohne die Gefahr zu verharmlosen, meine Schwester ist Ärztin und hat mir von der Intensivstation berichtet. Aber ich habe auch mit einem alten Freund in Nepal telefoniert und ihn nach der Lage dort gefragt. Seine Antwort war: ‚What the fuck is Corona? Wir haben Malaria, wir haben dies und das… was willst Du mit Corona?‘
Du hast die schlimmste Krise erlebt. Dein bester Freund und Kletterpartner Basti Haag kam bei einer gemeinsamen Expedition ums Leben.
So eine Freundschaft – mit allen Höhen und Tiefen – wie mit Basti haben wahrscheinlich nur ganz wenige Menschen überhaupt erlebt. Wo man sich so tief vertraut. Ich bin sehr dankbar für die Zeit, die wir miteinander hatten und dafür, was er mir ermöglicht hat. Wir haben uns gegenseitig gefordert und gefördert.
Wie hast Du das verarbeitet?
Wenn engste Freunde unmittelbar neben einem sterben, dann sind das massive Wunden und tiefe Narben. Die bleiben. Aber irgendwie musste ich es schaffen, nicht in diese Schuldgefühlkette von ‚was wäre gewesen, wenn‘ abzusteigen. Da bleibst Du drauf hängen und kommst nicht mehr raus. Man muss versuchen, sich damit abzufinden, dass es nie wieder so sein wird, wie es mal war. Es annehmen.
Wir haben viel über Erfolg geredet. Was fällt Dir wirklich schwer?
Das Stillhalten während des Lockdowns war für mich persönlich eine Herausforderung. Das musste ich auch letzte Woche im Familienurlaub wieder feststellen. Das ist eine große Schwäche von mir. Es fällt mir enorm schwer, nichts zu tun. Das ist nicht mein Ding. Da denke ich oft, warum habe ich da nicht die Selbstdisziplin, etwas einfach mal nur zu genießen.
Glaubst Du, Du kannst das lernen? Ausruhen?
Ich weiß es nicht. Es hängt wohl schon mit meiner Endorphin-Ausschüttung zusammen. Ich bin es gewohnt um drei oder vier aufzustehen: auf den Berg, dann ins Büro, ein Termin nach dem anderen… . Wenn ich dann Pause machen soll, komme ich mir manchmal vor wie ein Junkie, dem der Stoff fehlt.
Lesenswert: https://www.benediktboehm.de/news/from-the-deathzone-to-the-boardroom/