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„Krise lernt man nicht in der Business School“

Leadership wird einer der größten Engpässe werden, sagt Thomas Sattelberger. Im SUITS. Talk mit Inga Empt und Jürgen Müller spricht der frühere Telekom-Personalvorstand und heutige FDP-MdB darüber, wie wir mit der Krise umgehen sollten.

Sie sind persönlich von Covid-19 betroffen gewesen und inzwischen wieder genesen. Wie geht es Ihnen heute?

Ich hatte einen sehr milden Krankheitsverlauf und bin jetzt kerngesund und vital. Ich bin ein wenig gelangweilt, weil der politische Betrieb für einen einfachen Bundestagsabgeordneten so gehemmt ist. Die Redeschlachten und die Ausschuss-Auseinandersetzungen gehen mir schon ab.

Wie bewerten Sie den Umgang der Regierung mit der Krise?

Die Bilanz wird am Schluss gezogen. Deutschland ist für so eine Pandemie nicht gerüstet gewesen. Ich habe als Lufthansa-Vorstand SARS und während meiner Telekom-Zeit die Schweinegrippe miterlebt. Daraus haben wir nicht gelernt. Ich sehe jetzt mit extrem großer Sorge, wie die Wirtschaft nach Corona dasteht. Das wird die Disruption nach dem 11. September und SARS weit übertreffen.

Die Politik bemüht sich aber doch, die Folgen so gut es geht abzumildern.

Dass der Mittelstand anfänglich hinten runter gefallen ist, war ein großes Problem, aber das scheint sich Stück für Stück zu beheben. Ein ganz anderes Thema kommt jetzt hoch mit der Frage der Firmenbeteiligungen. Ich sehe mit großer Sorge, dass Grüne und Sozialdemokraten die Lufthansa-Krise instrumentalisieren wollen für die ökologische Wende. Politiker haben als Unternehmer nichts verloren!

Sie haben bei der Telekom entsprechende Erfahrungen gemacht.

Die Staatssekretäre im Telekom-Aufsichtsrat damals waren nicht mit so einem Kampfauftrag unterwegs. Das halte ich für außerordentlich gefährlich. Ich halte es im Übrigen unter Reputationsgesichtspunkten für problematisch, wenn staatlich gestützte Firmen Dividenden und Boni auszahlen. Hier würde ich den Unternehmensleitungen dringend anraten, nicht legalistisch zu handeln, sondern ihr Ohr am Volk zu haben, das auf so etwas ganz unangenehm reagiert. Adidas hat das neulich zu spüren bekommen, als sie versucht haben, ein Gesetz, das für den Mieterschutz eingeführt wurde, zu missbrauchen. Ich würde das den Firmen nicht verordnen, aber ich finde, es ist eine Frage des guten Anstands.

Sie sprachen in einem Interview davon, dass Sie fürchten, „dass wir auf einer teilweise in Trümmer gelegten Wirtschaft neu aufbauen müssen.“ Sind wir die neuen ‚Trümmerfrauen‘?

Historische Analogien sind ja immer ein wenig schwierig, aber es steht uns eine Wiederaufbauarbeit bevor. Hauptbetroffene werden die Solo-Selbständigen und kleinen Unternehmen sein. Zugleich trifft Corona auf eine vorher schon vorhandene rezessive Entwicklung im Mittelstand, bei Maschinenbau, Anlagenbau, Automobilzulieferern usw. Zugleich besteht eine wichtige Chance darin, dass diese Aufbauarbeit für eine Digitaloffensive genutzt wird. Bisher ist der Mittelstand außerordentlich zögerlich mit dem Thema der Digitalisierung umgegangen. Insofern gibt es hier eine Chance, wenn man die richtigen Incentives setzt.

Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Forderungen der Automobilindustrie nach staatlicher Unterstützung?

Ich halte das für intellektuelle Abwrackprämien! Nein, davon halte ich gar nichts! Ich halte viel davon, generelle Stimuli zu setzen. Und wenn die Autoindustrie intelligent genug ist, diese dann auch sinnvoll zu nutzen und innovativer zu werden, dann freue ich mich.

Derzeit gibt der Staat das Geld mit vollen Händen aus. Wie lange werden wir uns das leisten können?

Ich sage mal ganz nüchtern als Schwabe: Zum Glück haben wir sauber hantiert mit der Schuldenbremse in den letzten Jahren. Die Steuereinnahmen waren hoch, und nicht alles wurde ausgegeben. Unsere Schulden wurden abgesenkt. Insofern stehen wir im Vergleich zu anderen Ländern deutlich besser da. Deutschland hat eine relativ gute Bonität, und wenn wir mit dem Wiederaufbau vielleicht auch ein Wirtschaftswunder 2.0 hinbekommen, dann ist alles drin, um die Verschuldung wieder zu reduzieren.

Man hat in der Krise gesehen, wie wenig tatsächlich noch in Deutschland produziert wird. Das betrifft nicht nur Textilien, auch Medikamente kommen beispielsweise vielfach aus China. Wollen wir uns diese Abhängigkeiten künftig noch leisten?

Dahinter steht die Frage: Benötigen wir für bestimmte systemrelevante Bereiche wieder neue regionale oder sogar lokale Wertschöpfungsketten? Diese Frage wird in der Politik noch nicht so offen diskutiert. Ich persönlich glaube, wir benötigen auf dem Gebiet der Medizintechnik, der Impfstoffentwicklung, der Pharma-Industrie, auf dem Gebiet der Nahrungsmittelindustrie und auch dem Gebiet der IT eine ganz andere Souveränität, als wir sie heute haben. Diese Welt wird eine Welt von Erpressern. China nutzt inzwischen schamlos seine ökonomische Macht, um andere Nationen unter Druck zu setzen. Ich möchte als Deutschland oder Europa nicht abhängig sein – weder von einem Trump noch von einem chinesischen Präsidenten. Was bedeutet das konkret? Das bedeutet, Ansiedlung attraktiv machen. Ausgründungen aus Universitäten und außeruniversitären Wissenschafts-Einrichtungen fördern.

Inwieweit ändern sich in der Krise die Anforderungen ans Management? Welche Fähigkeiten braucht ein guter ‘Corona-Manager‘?

Die letzten beiden Manager-Generationen haben leider nie wirklich Krise erfahren. Das lernt man nicht in der Business School. Transformations-Themen sind nicht Technologie-Themen, sondern zuerst Leadership-Themen. Ich gehe davon aus, dass Leadership einer der größten Engpässe sein wird. Nehmen Sie den „alten“ Trigema-Chef, der ist krisenerprobt! Aber Hallo! Der hat gehandelt! Andere stecken dagegen in ihren Routinen, die sie gelernt haben, in linearer Aufwärtsplanung verhakt, die jetzt nicht mehr funktioniert. Dies bereitet mir am meisten Sorgen: Krise lernen wir jetzt in einer der schlimmsten Krisen – der größten seit dem 2. Weltkrieg.

Neue Manager braucht das Land?

Diese soften Yuppies, die als 38jährige Unternehmen führen sollen, die packen das Thema so nicht. Ich sag das mal so derb.

Was zeichnet einen guten Krisenmanager aus?

Er muss Abbau, Umbau und Aufbau gleichzeitig bewältigen. Vielleicht nicht gleichzeitig handeln, aber gleichzeitig denken. Leider kommen jetzt in den meisten Firmen die alten Reflexe, die im Kern heißen: Stellenabbau, Kostensenkung. Aber Kahlschlag hilft nicht. Wir müssen schnell adaptieren können, wenn es wieder aufwärts geht. Zweitens muss ich auf dem Gebiet der Innovationsfähigkeit Reserven haben. Die Firmen werden die Effizienzspirale in Gang setzen. Sie dürfen nicht vergessen, dass es auch eine Innovationspirale gibt.

Glauben Sie, dass es strukturelle Unterschiede in den Unternehmen gibt? Tut sich der bewegliche Mittelstand vielleicht leichter als börsennotierte AGs mit all ihren Zwängen?

Ich würde das eher andersrum sehen. Wir haben eine Überalterung bei vielen mittelständischen Unternehmen. Die sind häufig konservativer in ihrem Investitionsverhalten. Ich meine damit nicht die hidden champions, aber meine Sorge betrifft die vielen hundertausend kleinen und mittleren Unternehmen. Die Großen werden überleben, oder sie werden untergehen. Ich sage mal ganz liebevoll: Auch ein Thyssen-Krupp hat das Recht auf einen würdigen Tod.

Es hört sich so an, als wünschten Sie sich die Rückkehr zu alten Manager-Tugenden. Brauchen wir wieder mehr Offiziere?

Die Menschen sind häufig paralysiert und warten auf klare Ansagen. Führung in Krise bedarf einer klaren Ansage und einer militärischen Umsetzung.

Gibt es Persönlichkeiten, die es gut machen?

Ist Elon Musk ein toller Leader? Nein. Aber er ist ein toller Innovator. Es gibt eindeutige Gewinner. Aber dies sind keine Persönlichkeiten, sondern neue Geschäftsmodelle. Das sind die Zooms, die Netflixes, die Microsofts und Googles. Da kann man nur sagen: Deutschland, wach jetzt verdammt schnell auf und hol auf in der digitalen Ökonomie!

Die Deutschen schlafen? 

Mich erstaunt schon, wie sprachlos ich das deutsche Top-Management gerade erlebe. Wenn Subventionen zu holen sind, ist man immer da. Eigentlich müssten Wirtschaftsführer – das sind ja überwiegend Männer – jetzt klare Ansagen machen, dass das Leben ungemütlicher wird. Und dass  sie alles daran setzen, dieses Ungemütlicher werden zu bewältigen. Die Corona-Hilfen werden wir uns kein zweites Mal leisten können. Danach kommt ein bitteres Erwachen. Das muss man adressieren und Menschen darauf vorbereiten.

Wird die Krise zu einem neuen, maßvolleren Verhalten auch auf Seiten des Managements führen?

Die deutsche Wirtschaft war und ist immer besser gewesen als das Vergehen von einigen, die wirklich schwarze Schafe sind, wie z.B. Winterkorn. Hier wird häufig von einem auf 160 geschlossen. In jeder Krise kommen auf der einen Seite die Weltuntergangsbeschwörer und auf der anderen Seite die Heilsbringer für eine bessere und neue Welt. Ich kann auf beide verzichten. Mir würde es wirklich ausreichen, wenn Deutschland sozialverträglich über diese Krise kommt, und wenn wir das Ende der Corona-Krise zum Ausgangspunkt nehmen, um uns ein Stück zu erneuern. Dass das wahrscheinlich etwas nachhaltiger sein wird, glaube ich auch, aber wir werden danach keine bessere Gesellschaft sein.

Sie waren als junger Mann mit Joschka Fischer auf den Barrikaden, sind später ins Topmanagement von großen Konzernen gegangen und sitzen heute als FDP-Abgeordneter im Bundestag.

Das stimmt: Ich war als 21jähriger keiner, der nur mitlief. Ich habe damals mit Joschka Fischer in Stuttgart die Schülerorganisation aufgebaut und nachher die revolutionäre Jugend Deutschlands. Dort habe ich das Managen gelernt. Über diese frühe Schule bin ich nach wie vor sehr erfreut. Aber ich habe dort natürlich exakt das erlebt, was stets mit linken Strömungen passiert: sie werden sektiererisch und totalitär. Das haben wir zuletzt bei Labour in England gesehen, wo aus einer sozialdemokratischen Partei beinahe eine antisemitische Partei geworden ist. Natürlich bin auch ich für eine bessere Welt. Aber die radikale Veränderung im Kopf führt gesellschaftlich nie zu einer guten Lösung.